Donnerstag, 26. Dezember 2013

Wagen oder nicht wagen …


Die Rechnung war eigentlich recht simpel: 4 Millionen geteilt durch zwei sind mehr als 4 Millionen geteilt durch drei! Rudi zog an seiner filterlosen Zigarette und blies den Rauch genüsslich in die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Jalousien bahnten und schaute dem wirbelnden Spiel des Qualms nachdenkend weiter zu. ‚Mit Betty zu teilen, wäre ja noch in Ordnung und sie ist ja ein verdammt hübsches Ding … und wer weiß, wenn wir die Sache durchgezogen haben, dann starte ich vielleicht auch mal einen Versuch, bei ihr zu landen … ich bin ja dann ein ziemlicher reicher Mann‘, führte Rudi seine Gedanken fort. Wenn da bloß dieser verflixte Bernd nicht wäre: Nicht nur, dass er für den Deal unersetzbar war, er konnte auch seine Finger nicht von Betty lassen und schien dem, was Rudi sich von Betty wünschte, schon ein ganzes Stück näher zu sein.





Bernd Mulder war ein schwerer Junge, nicht etwa wegen seines Körpergewichts, das war eigentlich für sein Alter OK, auch wenn die Muskelspannkraft in den letzten Jahren nachgelassen hatte, so war er dennoch fit und letztendlich auch durchtrainiert. Schwer war er, weil er seit frühester Jugend in einer stetig steigenden Heftigkeit mit der Exekutive und der Justiz aneinandergeriet. Alles in allem mit einem immer besseren Ende für den Rechtsstaat. Bernd hatte über Jugendarrest und Jugendstrafe bis hin zu Verurteilungen nach Erwachsenenrecht den gesamten Strafenkanon der Freiheitsstrafen schon aus nächster Nähe kennengelernt und so insgesamt 25 Jahre seines 46-jährigen Lebens bisher hinter Gittern verbracht. Er war ein Dieb, ein Räuber, ein Erpresser, ein Körperverletzer und hatte sich der fahrlässigen Tötung strafbar gemacht. Rudi und er hatten sich in der JVA kennengelernt und aus irgendeinem Grund, der beiden nicht bewusst war, waren sie sich sympathisch, und so halfen sie sich gegenseitig durch die letzten Monate im Knast. Jetzt waren beide seit 5 Monaten wieder draußen und planten seitdem das ganz große Ding, mit dem beide ausgesorgt haben sollten. Die Betty kannte der Bernd schon länger. Mit ihr hatte er mal einen Unternehmer erpresst, mit dem Betty eine Affäre angefangen hatte, die Bernd in höchster Auflösung auf Foto und Video festgehalten hatte. Das hatte damals Hunderttausend gebracht, und Bernd hatte schon häufiger überlegt, entweder so ein Ding noch mal durchzuziehen oder aber den Unternehmer ein weiteres Mal zu erleichtern. Aber Betty wollte beides nicht und so hielt Bernd sich zurück, aber er wusste, dass er irgendwann noch einmal eine der beiden Karten spielen wollte … ob mit oder ohne Betty.

Betty Hohlschläger wurde in einschlägigen Kreisen immer Klimper-Betty genannt, weil sie einen Augenaufschlag hatte, der einen Kerl schier willenlos machen konnte. Sie war zwar kein leichtes Mädchen, hatte aber wenig Skrupel, ihren Körper und ihre Reize für ihre Zwecke einzusetzen oder für die eine oder andere Zärtlichkeit Geld zu nehmen. So war sie mehrere Jahre die Geliebte eines Geschäftsmannes, der alle ihre Rechnungen bezahlte und ihr denjenigen Luxus ermöglichte, den sie zu dieser Zeit wollte. Als die Ehefrau dahinter kam, entschied er sich für die bürgerliche Variante und trennte sich von Betty … natürlich nicht ohne, dass Betty sich ein Handgeld auszahlen ließ, damit sie nicht aus Versehen einmal mit einem Journalisten der Lokalpresse über die zurückliegenden Jahre sprechen würde.

Wurde für irgendein krummes Ding ein weiblicher Lockvogel gesucht, war Betty stets erste Wahl. Auch wenn sie jetzt bereits Anfang 40 war, so hatte sie doch diese Ausstrahlung, die niemals alt wird und Männern jeden Alters alles verspricht --- und genau diese Wirkung wurde jetzt in dem Deal von Rudi und Bernd benötigt.

Der Plan war so simpel wie genial, so genial wie einfach, so einfach wie nur was:
Bernd hatte von einem Drogengeschäft gehört, bei dem Stoff im Wert von 4 Millionen den Besitzer wechseln sollte. Der Handel war zwar schon angeleiert, aber Bernd wusste, dass der Lieferant noch zwei Wochen bräuchte, um die Ware ins Land zu bringen. Als der Verkäufer den Käufer vertrösten wollte, kam Bernd ins Spiel. Er erklärte den Massi-Brüdern, die die heiße Ware vertickern wollten, dass er das der Carter-Bande, die das Zeug kaufen wollte, mitteilen werde. Die Massi-Brüder waren auch gar nicht scharf darauf, sich die Flüche der Carters anzuhören, wenn der Deal sich verzögern sollte und überließen Bernd Mulder nur allzu gerne die Kommunikation. Bernd hingegen hatte gar nicht vor, den Carters die Wahrheit mitzuteilen. Stattdessen bestellte er sie in den alten Hafen und gaukelte ihnen vor, dass der Stoff dort übergeben werden sollte … gegen 4 Millionen in cash!

Da Bernd das Ding unmöglich alleine durchziehen konnte, brauchte er Rudi und Betty. Betty, um die Carters abzulenken und Rudi, um das Boot zu fahren. Er selbst würde sich um die Carters kümmern. „Für 1,7 Millionen kann man sein Gewissen schon mal etwas schwerer belasten“, sagte Bernd und machte damit deutlich, dass ihm die Unversehrtheit der Carter-Bande ziemlich egal war. Eine große Unbekannte gab es allerdings noch: Bernd hatte keine Ahnung, mit wie vielen Leuten die Carters anrücken würden. Da gab es die beiden älteren Carters, Tim und Kevin, sowie den jüngeren Carter, David. Meistens war ihr Handlanger Blowing-Joe noch dabei. Bei einem 4 Millionen Deal könnte es jedoch sein, dass sie mit einer ganzen Armada anrücken würden. Es nutzte nichts, Bernd musste einen Weg finden, denjenigen Carter, der den Geldkoffer hatte, von den anderen wegzulocken, um ihn ausschalten zu können. Ein Blutbad musste es ja auch nicht gleich werden, wenngleich Bernd die Carters noch nie leiden konnte und sicherlich nicht allzu viele Leute traurig wären, wenn es sie erwischen würde; aber das Risiko, sich selbst eine Kugel einzufangen, war dennoch zu groß … und noch mehr Leute ins Boot zu holen, war für Bernd auch nicht wirklich eine Option.

Sie würden es so machen:
Bernd würde in der Hafenhalle gegenüber von Pier 17 auf die Carters warten. In der Halle gab es hinten in der Ecke ein kleines Büro, das man vom Haupttor aus nicht gut einsehen konnte und aus dem es eine Tür aus der Halle heraus direkt hin zu einer kleinen Wasserstraße des Hafenbeckens gab. Sobald die Carters mit ihren Gefolgsleuten einträfen, würde Bernd den Tim Carter, der sicherlich den Geldkoffer tragen würde, in das kleine Büro lotsen. Wenn einer der Carters Anstalten machen würde, mit nach hinten zu gehen, würde Bernd kontern: „Stopp, Carter. Was sind denn das für Manieren? Einer von den Carters und einer von den Massis! Oder willst Du sagen, dass die Massis betrügen … das richte ich ihnen gerne von Dir aus!“ Das würde reichen …

Sobald er mit Tim im Büro verschwunden war, war Betty an der Reihe. Sie würde langsam nackt am Eingangstor auf einem Fahrrad vorbeifahren und der Männergruppe würden die Augen aus dem Kopf fallen. Sie wären lange genug abgelenkt, dass Bernd dem Tim Carter eins überziehen und mit dem Koffer zum kleinen Steg verschwinden konnte. Sobald die Betty am Tor vorbei war, würde sie in die Pedale treten und ebenfalls schnell zum Boot fahren, in dem Rudi schon abfahrbereit wartete. Ein Boot, 4 Millionen, Rudi, die nackte Betty, Bernd – so ginge die Fahrt los, bevor die Carters überhaupt mitbekommen hätten, was da passiert war … auf eine Jagd übers Meer waren sie sicherlich nicht vorbereitet, sodass der Vorsprung ausreichend war, um anschließend unterzutauchen --- wie gesagt, ein Plan, so simpel wie genial, so genial wie einfach. ---

Rudi war den ganzen Tag über schon recht nervös: Morgen sollte der Tag sein, an dem sie die Carters über den Tisch ziehen würden und zu dritt 4 Millionen abkassieren würden. Für jeden knapp 1,7 Millionen oder – wenn er es richtig anstellen würde – 2 Millionen für ihn und 2 Millionen für Betty. In seinen Träumen malte er sich allerdings die dritte Variante aus, dass nämlich Betty zusammen mit ihm die 4 Millionen ausgeben und investieren würde, dass Betty genauso empfinden würde, wie er. Dazu musste er nur Bernd loswerden. Hier gab es zwei Alternativen: Bernd bei der Flucht zurücklassen und hoffen, dass die Carters ihn erledigten oder aber Rudi müsste ihn selbst beseitigen. Die zweite Möglichkeit war die schwierigere, aber auch sicherere: Was, wenn die Carters Bernd nicht sofort abknallen würden, sondern im Gegenteil, ihn für ihre Zwecke einspannen würden und ihn verschonten, wenn er ihn und Betty jagen, finden und unschädlich machen würde. Das war ein nicht zu kalkulierendes Risiko. Somit blieb nur die Möglichkeit, Bernd selbst das Licht auszupusten. Rudi war sich aber nicht sicher, wie Betty das finden würde … er konnte nur hoffen, dass sie so empfand wie er und sich auf ein sorgenfreies Leben mit ihm freute. Rudi beschloss, seine 38er zu reinigen, zu laden und morgen bei sich zu tragen. ---

Betty hatte so langsam ihr jetziges Leben satt. Allzu lange konnte sie auch nicht mehr auf ihre Schönheit und die entsprechende Wirkung, die sie bei Männern erzielte, vertrauen. Immer nur der schöne Lockvogel zu sein oder sich von irgendwelchen reichen, alten Säcken aushalten zu lassen, war auch nicht wirklich zukunftsträchtig. Ein großes Ding, ein Big Deal musste her; einer, mit dem sie ausgesorgt hatte. Da kam ihr das Vorhaben von Bernd gerade recht. Eigentlich hatte sie Bernd nie so richtig gemocht, aber Geschäfte konnte man mit ihm machen, wie die kleine Erpressung ihres Liebhabers gezeigt hatte. Aber Bernd wusste häufig nicht, wann ein Blatt ausgereizt war und drohte immer den Bogen zu überspannen. So hatte er auch ursprünglich vor, den Carters vorzumachen, dass die Lieferung noch größer ausfallen würde und dann 7 Millionen kosten würde. Betty konnte ihn dann davon überzeugen, dass das nur unnötige Fragen aufwerfen würde und die Carters vielleicht misstrauisch werden könnten --- so blieb es dann bei dem 4-Mio-Deal. Ob sie den Rudi mochte, darüber hatte sich Betty noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht ja, aber im Großen und Ganzen war er ihr eigentlich egal. Was sie als störend empfand, war, dass er sie manchmal recht verliebt anglotzte. Damit konnte sie so gar nichts anfangen, aber vielleicht konnte sie das ja mal in ihrem Sinne für sich ausnutzen. ---

„Bist Du alleine, Mulder?“, fragte Kevin Carter etwas erstaunt. „Haben die Massis nicht genug Respekt, uns persönlich zu treffen?“ Bernd hatte nicht unbedingt mit diesen Fragen gerechnet, aber er war hoch konzentriert und antwortete: „Die Massis haben ein wenig Ärger in der Hauptstadt --- nichts Ernstes, aber sie mussten da mal wieder präsent sein. Frederico hat mir noch aufgetragen, Euch zu sagen, dass die Massis am liebsten Geschäfte mit den Carters machen, weil sie zuverlässig sind und ihr Wort noch was gilt … sie vertrauen Euch, Kevin. Deshalb bin auch ich hier alleine mit der Ware.“ „Tim, hast Du die Knete?“, fuhr Bernd fort, „dann komm mit nach hinten, dann werde ich mir die Scheine ansehen und Du kannst den Stoff prüfen.“ Tim setzte sich in Bewegung, Kevin und Blowing-Joe wollte folgen. Bernd intervenierte: „Stopp, Jungs. Was sind denn das für Manieren? Einer von den Carters und einer von den Massis! Oder wollt Ihr sagen, dass die Massis betrügen … das richte ich ihnen gerne von Euch aus! Vertrauen gegen Vertrauen.“ Kevin und Joe blieben stehen. ‚Das läuft ja genau wie geplant‘, jubelte Bernd innerlich.
Tim und Bernd gingen zu dem kleinen Büro. Bernd drehte sich noch einmal kurz zurück und sah, wie die Carters ihren Hals verbogen, um eventuell doch das Büro einsehen zu können. Kaum war Bernd aus dem Blickwinkel verschwunden und hinter Tim Carter ins Büro gegangen, hörte er eine Fahrradklingel am Hallentor und zog, da er genau auf dieses Signal von Betty gewartet hatte, den kleinen Bleisack aus der Tasche und briet dem Tim Carter eins über, dass ihm Sehen und Hören vergingen. Tim Carter sackte nieder und ließ den Koffer fallen. Den Koffer aufheben, die Türe öffnen und die ersten Laufschritte hinaus aus der Halle machen waren fast eine Bewegung bei Bernd, der dann, als er auf dem Steg ankam, auch schon die radelnde nackte Betty sah. Der Motor des Boots lief, Rudi schaute angespannt zum Steg und machte wild fuchtelnd Gesten, dass sich die beiden anderen beeilen sollten. Betty war zuerst am Boot, sprang an Bord und zog einen Trenchcoat über. Bernd warf den Koffer an Bord und sackte dann plötzlich, zeitgleich mit einem ohrenbetäubenden Knall, zusammen. Rudi und Betty blickten entsetzt an Land. Der niedersinkende Bernd gab langsam den Blick auf Frederico Massi frei, der auf dem Nachbarboot stand und immer noch die Waffe im Anschlag hatte. Rudi war konsterniert, sollte er seine Waffe ziehen, sollte er losfahren, sollte er sich vor Betty stellen, sollte er Betty als Schutzschild benutzen, sollte er den Koffer schnappen, sollte er ins Wasser springen, sollte …, sollte …, sollte. Vor lauter Überlegungen erstarrte Rudi und tat nichts. Anteilnahmslos sah er, wie Betty den Koffer nahm, auf den Steg zurückkletterte, in das Boot von Frederico stieg, ihn umarmte und küsste. Der Knall, den Rudi dann hörte, ging einher mit einem bohrenden Schmerz, den er kurz in der Stirn spürte. Bettys schönes Gesicht umhüllt vom Qualm der Pistole, die Frederico Massi beim Wegfahren in seine Richtung abgefeuert hatte, war das Letzte, was Rudi sah. Betty hatte anders empfunden und ihren Big Deal mit den Massis gemacht.

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